Es war bereits dunkel und finster,
als wir das Zuhause vom kleinen Tod erreichten. Obwohl, bei genauerem
Betrachten, Zuhause konnte das hier niemand nennen. Es war kein Haus, in dem
der kleine Tod lebte, kein finsteres Loch, mitnichten der Hades und schon gar
nicht die Hölle. Es war …
irgendwie ganz anders. Eine Halle der ewigen Seelen mitten im Wald aus Bäumen erschaffen. Unzählige Wanderer kamen im Laufe der Geschichte vorbei und liefen ahnungslos
hindurch. Denn für blinde Augen, die nicht sahen, taube Ohren, die nicht hörten und schweigsame Stimmen, die nicht sprechen konnten blieb dieser Ort für alle Zeit hinter dem Schleier der Wirklichkeit verschlossen. Dem Tod begegnete
niemand, der blind, taub oder stumm war. Dem Tod begegnete nur das Leben. Er
war der Einzige, der Macht darüber hatte und es jederzeit und überraschend entreißen konnte.
Müde kam der kleine Tod in dieser Nacht von seiner unerledigten Arbeit nach Hause.
Seine nicht vorhandene Frau würde ihm wieder keine Knochen zählen. Der nichtexistierende Hund ihm keine schwanzwedelnd bellende Begrüßung schenken. Und im unsichtbaren Ofen würde kein wärmendes Feuerchen brennen und köstlichste Speisen seinen Magen füllen. Er hatte weder eine liebevolle Frau, noch einen treuen Hund, keinen warmen
Ofen und Gott behüte einen funktionierenden Magen. Nur die kalten knöchernen Überreste seines Körpers dienten ihm als unsterbliches Gefäß. Welche halbwegs vernünftige Frau blieb bei ihm – und seinen kalten Füßen!
Seufzend schlurfte er durch den versteckten Eingang in der uralten Eiche hinein
in seine Halle der Seelen, die ihren Platz unter dem Blätterdach der Waldlichtung gefunden hatte. Achtlos warf er seinen schwarzen
Umhang an den Garderobenständer in der Ecke und trottete zu seinem Lieblings-Ohrensessel. Die schwere Sense
schleifte er auf dem moosbedeckten Waldboden hinter sich her, lehnte sie an den
Sessel und ließ sich abermals seufzend hinein plumpsen. Wieder war er allein mit sich selbst in
einer Welt, die er nicht verstand. Resigniert zog sich der kleine Tod seinen
schwarzen Schlapphut über die Augen, um einen Moment Ruhe zu finden. Er setzte diesen Hut niemals ab,
war er doch sein einziger Schutz gegen das gemeine Böse da draußen. Und heute war einer dieser finsteren Nächte, in denen seine Gedanken stetig darum kreisten, wie anders sein Leben
verlaufen wäre mit Frau, Hund, Haus, Ofen … einem Magen? Wie ein Leben als Mensch gewesen wäre, der er einst war?
Nun ja, es hatte ihn damals niemand gezwungen, den Beruf des Todes auszuüben, das war schlichtweg seine Berufung. Hin und wieder beschlich ihn dennoch
der eine oder andere Zweifel, ob es wirklich die richtige Arbeit für so einen dünnhäutigen Kerl, besser gesagt, Knochenhaufen wie ihn war? Schließlich wurde ein Priester berufen und könnte jederzeit irgendwie … kündigen. Aber als Tod? War das überhaupt möglich? Keiner seiner Kollegen hatte es bisher auch nur gewagt, aus der Gilde der
Tode auszusteigen. Alle hatten viel zu große Angst davor, allen voran er selbst. Was, wenn die Gilde und ihre Anhänger sich gegen ihn zusammenrotteten und ihn … töteten? Nein, das ginge ja aus gesundheitlichen Gründen schon mal gar nicht!
Und wer würde dann sein Nachfolger werden? So ein junger „Todgeweihter”, der frisch von der Akademie kam und kein Taktgefühl besaß? Niemals! Er war der Tod in der trilliokosmanischen Generation. Jeder einzelne
seiner Vorgänger führte den Beruf mit Hingabe und Leidenschaft aus, bis … ja, bis wann eigentlich? Die Zeit abgelaufen war? Er zu alt und senil war? Mit
der Technik nicht mehr mithalten konnte? Wobei, das war unmöglich.
Ende der Leseprobe.